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Wie bringe ich unterschiedliche Handlungsstränge im Roman zusammen?

Ich befinde mich in der Recherche für ein Fantasy-Buch mit historischem Hintergrund. Bei der Entwicklung des Storyboards ist mir allerdings aufgefallen, dass sich 3 bzw. 4 (je nach Auslegungssache) zunächst voneinander unabhängige Handlungsstränge ergeben, die aber zu einem späteren Zeitpunkt und im Verlauf des eigentlichen Hauptgeschehens zusammentreffen.

Jetzt stellt sich mir die Frage, inwieweit ich die verschiedenen Stränge vor dem Hauptgeschehen im Roman unterbringe. Ist es ratsam, die einzelnen Stränge erst einmal separat zu erzählen, um dem Leser zu zeigen, warum die einzelnen Personen so handeln und denken? Zum gelegentlichen Einfließen lassen in die eigentliche Geschichte ist es wahrscheinlich zu umfangreich, und ich habe die Befürchtung, dass der Leser nicht mit genug Informationen versorgt wird.

Wenn ich deine Beschreibung richtig verstehe, hast du einen Haupthandlungsstrang, zu dem später weitere Stränge geflochten werden. Nicht klar ist mir, was du damit erreichen willst und wie schwer diese Handlungsergänzungen wiegen. Starten denn alle Stränge zum selben Zeitpunkt? Gibt es unterschiedliche Chronologien, Schauplätze, Figuren? Erzählen die jeweiligen Akteure aus ihrer Perspektive? Sind es wirklich Handlungsstränge oder Subplots?

Ein untergeordnete Handlung (Subplot) ist eine Handlungseinheit, die die Haupthandlung stützt und erweitert, aber keine selbständige Story ergibt.

Beispiel

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Haupthandlung: Die Heldin rettet die Magie in ihrer Welt

  1. Subplot: Die Heldin braucht dazu die Hilfe eines alten Magiers, der sich weigert. Sie muss ihn überreden oder überlisten.
  2. Subplot: Sie verliebt sich in den Lehrling des Alten
  3. Subplot: Der Lehrling verliebt sich in die Antagonistin, eine Magiehasserin ...

Diese Subplots können räumlich, inhaltlich und chronologisch parallel oder in Reihenfolge stattfinden.

Ein Handlungsstrang ist eine selbständige Handlungseinheit, die mit dem Hauptplot verflochten wird. Das kann eine eigene Story sein, oder es kann sich um zwei Figuren handeln, die sich unaufhaltsam aufeinander zu bewegen. Die Haupthandlung hat zwar das Übergewicht, aber die anderen Handlungsstränge sind fast ebenso stark (und umfangreich). Einzelne Handlungsstränge können räumlich, inhaltlich und chronologisch getrennt sein.

Beispiel

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Haupthandlung: Die Heldin rettet die Magie in ihrer Welt

  1. Strang: Die Heldin wird durch ein traumatisches Ereignis zur Magierin
  2. Strang: Die Gegnerin, ihre Schwester, wird zur Magiehasserin.

Beide gehen getrennte Wege, die sich räumlich und inhaltlich unterscheiden, aber auf derselben Zeitschiene laufen, es wird eventuell aus beiden Perspektiven erzählt, oft hin- und hergeblendet, bis sie im Showdown aufeinandertreffen.

Wenn du die Stränge einzeln einflechtest, solltest du dir Gedanken machen, wo dein Hauptplot liegt und womit er beginnt. Leser/innen tendieren dazu, das Erste, was sie lesen, für den Hauptplot zu halten, und die Figuren, die dort handeln, für die Helden/innen zu halten. Der Einstieg dient zudem als Orientierung: welche Story wird erzählt, wer erzählt, um was geht es? Daher sollte man mit dem Hauptplot beginnen und andere Handlungsstränge später einflechten, z. B. nach dem Muster Hauptstrang A, Strang B, Hauptstrang A, Strang C, Strang B, Hauptstrang A ...

Für den Leser ist es zunächst keineswegs interessant, erst alle Figuren vorgestellt zu bekommen. Er möchte eine spannende Geschichte, d. h., jedes Plotelement muss seinen spannendsten Platz finden, an der spannendsten Stelle beginnen. Die meisten Leser möchten keinesfalls erst einmal etwas erklärt bekommen: „Hier ist diese Figur, die denkt so und handelt so, hier ist jene Figur, die steckt in diesem und jenem Konflikt und denkt so ...“

Unterschätze Leser nicht! Die meisten sind schlau und lesen zwischen den Zeilen. Das bedeutet, dass du als Autorin gar nicht so viele Informationen unterbringen musst, wie du meinst. Jedenfalls nicht wortwörtlich.

Wenn etwa die Heldin erst mal ein Artefakt finden muss, das sie für ihre Magieentwicklung braucht, dann ist es langweilig, die Suche zu beschreiben, falls diese nichts Wesentliches zur Haupthandlung beiträgt. Sie sucht eben den Ort, dann das Ding, dann wie man es handhabt ... Spannend und wichtig für die Haupthandlung wird die Suche, wenn die Gegnerin alles unternimmt, um zu verhindern, dass die Heldin das Artefakt findet. Das ist der primäre Konflikt (Magierin gegen Magiehasserin), repräsentiert durch einen untergeordneten Konflikt (Heldin braucht Artefakt / Gegnerin will Artefakt zerstören). Der zweite Handlungsstrang wäre dann z. B., was die Gegnerin alles unternimmt, um die Heldin zu hindern (Konflikt und Steigerung), eventuell aus der Sicht der Gegnerin.

Wenn du Informationen vermitteln musst, lass es über die Handlung geschehen. Ist deine Heldin durch einen Magie-Unfall traumatisiert (vielleicht sogar zusammen mit ihrer Gegnerin!?), dann musst du das erst erzählen bzw. erwähnen, wenn es wichtig ist. Klar, es ist eine gute Szene, wie sie in ein magisches Gewitter zweier rivalisierender Magier gerät und nur überlebt, weil sie ihre eigene Magie entdeckt und gebraucht. Schön, aber braucht der Haupthandlungsstrang das? Du kannst es in einer Szene zeigen, in der sie mit dem alten Magier reist:

z. B. im Dialog:

"Magie ist ein Wunder. Ohne sie hätte ich nicht überlebt, als zwei Magier kämpften und ich dazwischen geriet."

"Törichtes Kind, Magie ist ein Feuer, das man nicht mehr löschen kann, wenn es in einem brennt."

"Aber -"

"Und es verbrennt dich irgendwann."

"Ich kann mit Magie doch aber ..."

"Besonders schnell verbrennt es törichte, kleine, dumme Mädchen wie dich. Und jetzt sammle Holz für unser Lagerfeuer!"

z. B. in der Handlung:

Ein Ast knackte, dort, wo die Flammen nichts mehr erhellten. Zuzuli blieb bewegungslos hocken. Ihre Ohren zuckten. Gleichzeitig sammelten sich Funken über ihren Fingerspitzen. Sie war so schnell mit ihrer Magie zur Hand wie damals, als sie zwischen die kämpfenden Magier geriet. Zuzuli rieb die Funken, erzeugte neue und lauschte, ob jemand kam, ob jemand einen Knüppel sausen ließ, ob magische Lichtbögen zischten ... Im Wald trompetete leise ein Molink, huschten Wieselmäuse umher, es raschelte und knackte, aber weder Magier noch Krieger überfielen das Lager. Der alte Magier schnarchte leise und hatte noch nicht einmal mit den Ohren gezuckt.

beantwortet von: Stefanie Bense (19-06)

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