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Sailor Moon: "Mondstein, flieg und sieg!"

von Thomas Kohlschmidt

Ja, ich liebe Bunny Sukino! Dabei war es keine Liebe auf den ersten Blick, nein, es dauerte eine Zeit, bis ich hinter dem augenscheinlichen ´Kinder-Kitsch´ der japanischen Anime/Zeichentrick-Serie ´Sailor Moon´ das Konzept erkannte, von dem sich wirklich alles lernen läßt, was man als Autor von Fortsetzungsgeschichten wissen sollte. Aber auch für Roman-Schreiber ist das interessant.

Sailor Moon war Anfang der 90er Jahre für die scharf abgegrenzte Zielgruppe 12 bis 18jähriger Mädchen entworfen worden, weswegen zur Identifikation die Hauptfiguren der Serie in diesem Altersfenster liegen und u. a. einen ganz normalen Schulmädchen-Alltag erleben. Doch die Serie wurde sehr schnell auch bei Jungen beliebt und sprengte das Alterskorsett: Heute erlebt Japan einen generationsübergreifenden Sailor Moon-Taumel, und auch in den USA, in Frankreich und bei uns gibt es längst nicht mehr nur die ersten 120 Folgen der 200 Serien-Episoden und die drei Spielfilme. Von Comics über Hörspiele bis hin zur knallbunten Bettwäsche gibt es alles, was das Fan-Herz begehrt.

Was also macht diesen Erfolg aus? Ist es wirklich nur Massenhysterie? Folge des Rinder-Wahnsinns? Oder steckt mehr dahinter?

Um die Wahrheit zu finden, die ja bekanntlich irgendwo da draußen liegt, begann ich den Aufbau der Serie zu analysieren und stieß auf einige Elemente und Strukturen, die mir nur allzu bekannt vorkamen - und auf einige für mich völlig neue Erkenntnisse. Die Serie beherzigt jenseits ihres eigenwilligen Stils sämtliche Erfolgsfaktoren soliden Erzählens. Sie arbeitet trotz plakativem Comic-Symbolismus (den ich persönlich liebe!) souverän mit all den Zutaten guter Geschichten und mitreißender Epen. Und deshalb ist eine Analyse dieser TV-Serie durchaus auch etwas für uns Schreiberlinge. Hinter ´Sailor Moon´ stecken differenzierte Drehbücher und manches, was ich im Folgenden über Formen und Farben schreibe, läßt sich mit etwas Übung durchaus in die Welt der reinen Worte übersetzen. Außerdem macht es doch einigen Spaß, an einem so plastischen Beispiel Einblicke in abstrakte Erzähltheorie zu bekommen. Also los:

Hauptfiguren

Schon bei der Anlage der Hauptfiguren von Sailor Moon zeigt sich, wie beherzt hier zur Sache gegangen wird, wie scharf die Figuren gezeichnet sind:

Wie schon erwähnt heißt die zentralste Hauptfigur Bunny Sukino.

Sie ist 14 Jahre alt, schlank und blond(!) und lebt zusammen mit ihren Eltern und einem kleineren Bruder im Tokio von heute. Sie ist sehr ängstlich, wie auch ihr hasiger Name verrät, eine echte Heulsuse, weswegen sie oft selbst von ihren guten Freundinnen aufgezogen wird ("Stell dich doch nicht so an, Bunny!"). Natürlich geht sie brav in die Schule, aber leider ist sie nicht gerade die beste Schülerin, da sie einfach kaum zum Lernen kommt. Irgendwie gibt es immer so viele interessante Dinge zu tun oder zu bedenken.

Sie kann sich bei Bedarf in Sailor Moon verwandeln, eine tapfere Amazone, deren Seele ursprünglich vom Erdtrabanten stammt, als hier vor Jahrtausenden noch das gute Mondreich bestand. Als Sailor-Moon besitzt sie übermenschliche Kräfte, die Kräfte des Mondes, mit deren Hilfe sie böse Mächte besiegen kann. Als Sailor-Kriegerin ist sie eine von vielen Kämpferinnen für Liebe und Gerechtigkeit. Bunnys besten Freundinnen sind drei Mitschülerinnen und eine junge Tempelpriesterin in ihrem Alter. Die fünf Mädchen verbringen die Freizeit gemeinsam und halten wie Pech und Schwefel zusammen.

Da ist einmal Ami Mizuno. Sie repräsentiert den Verstandesmenschen, der aber schwer soziale Kontakte findet und manchmal bei all der Arbeiterei zu leben vergißt. Auch Ami ist eine Sailor-Kriegerin, Sailor-Merkur, die Amazone des Wassers.

Dann ist da Minako Aino, ein Mädchen, das immer wieder darunter leidet, daß an ihr überhaupt nichts besonderes ist, außer daß sie ein gutes Herz hat. In ihren Träumen ist sie ein bewundertes Idol. Aber wenigstens ist sie wirklich Sailor-Venus, die Amazone der Liebe und kann Feuerherzen verschießen, um das Böse zu bannen.

Die älteste der Freundinnen ist Makoto Kino, ein großgewachsenes, sehr sportliches Mädchen, das sehr direkt und ehrlich (manchmal taktlos) ist und die Unabhängigkeit braucht. Sie kann sich in Sailor-Jupiter, die Kräftigste der Kriegerinnen, verwandeln.

Die Fünfte im Bunde ist die Tempel-Dienerin Rei Hino. Sie ist eine schwarzhaarige Person mit funkelnden Augen, die abenteuerlustig ist und sehr trotzig sein kann. Sie glaubt fest an Orakel und Magie und läßt sich durch nichts aufhalten. Rei ist Sailor-Mars, die Kämpferin des Kriegs-Planeten. In dieser Rolle schleudert sie Feuerringe und Zaubersprüche gegen ihre dämonischen Feinde.

Einziger männlicher Hauptcharakter ist Mamoru Chiba, ein junger Mann, der Arzt werden will. Er ist groß und schlank und ein wahrer Gentleman (Halt ein echter Traumprinz). Er ist in Bunny Sukino verliebt, so wie sie in ihn. Nebenbei ist auch er ein Superheld, Tuxedo Mask genannt.

Im Verlauf der Serie taucht ein kleines Mädchen aus der Zukunft auf, das von allen Chibi-Usa genannt wird. Es ist rotzfrech, nervig aber auch liebenswert hilflos und wird in der Zukunft einmal die Tochter von Bunny und Mamoru sein, falls es diesen gelingt, die Zukunft gegen das Böse zu verteidigen. Denn mannigfaltige Dämonen bedrohen den Lauf der Zeit und die Welt.

Diese sieben Hauptfiguren sind perfekt gewählt und zueinander in Beziehung gesetzt:

Die (ursprüngliche) Zielgruppe der Serie, 12 bis 18jährige Schulmädchen, können sich bestens mit Bunny und ihren vier Freundinnen identifizieren. Diese fünf Mädchen sind genau wie sie, haben die gleichen Wesenszüge, bilden Typen ab, die es in jeder Schulklasse gibt:

  • Bunny: Die Lebendige, Lustige, Labile
  • Ami: Die Kluge, Beherrschte, Außenseiterin
  • Minako: Die Sanfte, Liebe, Mitläuferin
  • Makoto: Die Sportliche, Freie, Einsame
  • Rei: Die Energische, Unerschrockene, Hitzköpfige

Jede der Fünf kämpft mit ihren Schwächen. In der Not wachsen sie über sich hinaus und werden zu Sailor-Kriegerinnen, mächtigen Überwesen, die die Charakterstärken jedes Mädchens potenzieren und bündeln.

Gemeinsam sind sie ein Team und jede hilft der anderen, ihre Grenzen zu überwinden.

Und so verschieden wie die Planeten sind, so verschieden sind die Menschen, die auch ein System bilden. Jede(r) kann auf andere Weise dem Ganzen nützen. Darum haben die Kriegerinnen völlig individuelle Waffen, die mit ihrem Charakter korrespondieren:

  • Sailor Moon: reine Unschuld Mondstein
  • Sailor Merkur: klarer Verstand Wasser
  • Sailor Venus: warmes Herz Feuerherzen
  • Sailor Jupiter: große Kraft Donnerschlag
  • Sailor Mars: starke Leidenschaft Feuerringe

Mamoru ist als einziger Mann die Verdichtung aller Mädchenträume. Er ist für Bunny/Sailor Moon das Wichtigste im Leben, ein Gegenpart für den untergründigen Sex der Serie. An ihm machen sich all die sehnsüchtigen Backfisch-Träume mit ihrem rührend-naiven Charme fest, den die angepeilten Zuschauerinnen sicherlich selbst nur zu gut kennen (Freundschaftsringe, erste Küsse ...) und an den sich ältere Semester mit einer Träne im Knopfloch gern erinnern (war das damals doch schön, diese Klassenfeste ...). Umgekehrt funktioniert das ebenso: Mamoru liebt Bunny erst freundschaftlich und dann - als sie im Laufe der Serie vom Mädchen Bunny immer mehr zur jungen Frau heranreift - als zukünftige Lebenspartnerin.

Eine Schlüsselrolle kommt dem kleinen Mädchen Chibi-Usa zu. Sie wird als fleischgewordene Zukunft zum Preis all der erbitterten Kämpfe. Chibi-Usa ist die lebende Trophäe im Kampf um das Glück als Familie. Alle zittern täglich darum, daß Bunny und Mamoru sich endgültig kriegen, heiraten und ihre Tochter zur Welt bringen. Die kleine Lady kämpft kräftig mit, um ihre eigene Geburt zu ermöglichen und Papa und Mama zu retten. Sie wird zur Nachwuchs-Amazone Sailor-Chibi-Moon.

Die Konstellation der sieben Hauptfiguren

  • Bunny/Sailor Moon (Primäre Identifikation)
  • Die Freundinnen (Hilfe, Halt)
  • Der Geliebte (Liebe, Erfüllung)
  • Das Kind (Zukunft, Weitergabe des Guten)

ermöglicht eine Fülle von dramtischen Varianten, Bezügen und Dynamiken.

Als Nebenfiguren treten noch weitere Sailor-Kriegerinnen auf, Klassenkameraden, Bunnys Eltern und ihr Bruder, Lehrer, Sportler, Sänger usw. Sie treiben Episoden- oder die Geschichten ganzer Folgenstaffeln (40 Episoden = 1 Staffel) voran, indem sie Stichwortgeber sind, Opfer die gerettet werden müssen oder zeitweilig scheinbare Konkurrenten der fünf Sailor-Kriegerinnen, die sich später als Freunde erweisen. Und es erscheinen Zukunfts-Bunny als Königin und Zukunfts-Mamoru als König des Tokio von Morgen auf, als mögliches Traumpaar. So hat man immer das Ziel vor Augen.

Aber die wahrhaft Guten, die untereinander schon viel erleben, werden immer aufs neue attakiert von den Mächten des Bösen.

Die Bösen, daß sind grausame Königinnen, Dämonenmeister, Der Erleuchtete

des Dunklen, der Messias der Stille, die Deadbusters, zahllose Cardiane, Dämonen, Droidos usw. In jeder Folge tritt ein neuer Feind auf, der die schöne Welt von Bunny und ihren Freunden bedroht, gelenkt von Oberbösewichtern, die ihrerseits Vasallen noch höherer Dunkelgeister sind. Das Böse erscheint in tausend Masken und ist hierarchisch organisiert. Wie der Märchendrache, dem man einen Kopf abschlägt und bei dem dafür gleich zwei neue nachwachsen, so ist die Dämonenschaft, die in mal albern-hysterischer, mal satirischer und mal gruseliger Art und Weise angreift. Doch all diesen Gegenspielern ist gemeinsam, daß sie die Welt versklaven, pervertieren und der Liebe berauben wollen, der Liebe, die gerade Sailor Moon und ihre Freunde, Bunny, Mamoru und Chibi-Usa zusammenhält.

Hier folgt Sailor Moon dem klassischen Thema der Gegenpoligkeit der Welt: Hell / Dunkel, Liebe / Hass, Gut / Böse ... Nur durch krasse Anti-Helden läßt sich in Geschichten das gesamte Spektrum menschlicher Leidenschaften ausbreiten. Die Überhöhung des Guten trifft auf die Überhöhung des Schlechten, das geschieht in Comic-Serien natürlich krasser, als in literarischen Romanen, wo die Charaktere dezenter gezeichnet sind. Oft ist dort das Böse mit allerlei Tugenden vermengt, so daß eine Ein-Dimensionalität vermieden wird. Der Konflikt muß aber auch hier deutlich bleiben. Romane über extreme Relativitäten von Gut und Böse mögen vielleicht klug und philosophisch sein, richtig spannend sind sie selten. Zeichentrickserien dürfen / müssen vereinfachen. (Daß Sailor Moon trotz üblicher Schwarz-Weiß-Tendenzen doch zu überraschenden Brüchen fähig ist, macht eine der besonderen Qualitäten der Serie aus und hebt sie aus dem platten Genre-Rahmen heraus: Es wird immer wieder klargestellt, daß selbst die Bösesten nur an einem Mangel von Liebe leiden, der sie entstellt hat. Manchesmal wird bei Schlüsselfiguren der dunklen Seite deren Vorgeschichte beleuchtet, und Sailor Moon siegt nur deshalb, weil es ihren ausdauernden Apellen an den gutes Rest in der verderbten Seele des Gegners gelingt, Gnade und Einsicht zu erwirken. Im Gegenzug werden auch die edlen Psychen der Helden ab und an heimgesucht von Irrlichtern des Lieblosen. Dann ist es an Bunny, die Freunde zu läutern.)

Orte als Bühnen der Handlung

Die Serie spielt zunächst einmal im Tokio von heute, wobei viele Szenen entweder in der Schule, bei einer der fünf Freundinnen zuhause oder auf dem Weg dazwischen stattfinden (Gespräche beim Laufen auf dem Gehsteig). Diese Schauplätze kehren jede Folge wieder. Diese Wiederkehr schafft Vertrautheit, man kennt nach ein paar Folgen die Szenerie wie sein eigenes Leben.

Natürlich unternehmen die Mädchen auch allerlei Ausflüge und Abstecher an Allerweltsorte (Eisdiele, Kino, Parks etc.), also in eine erweiterte Normal-Landschaft. Dies dient zum Auflockern der Kulisse und gibt uns oftmals interessante Eindrücke von der etwas exotischen Optik des japanischen Straßen-Alltags. Das sind die Passagen, die in schriftlich fixierten Geschichten malerische Erzähleinschübe bilden würden.

Die dritte Kategorie von Handlungsorten bilden die Themen-Orte, die eng mit der jeweiligen Episode zusammenhängen:

Zum Beispiel besuchen die Freundinnen in einer Folge eine Oper. Dort singt ein Tenor, dessen reines Herz (positive Energie) von einem Dämon gestohlen werden soll (Attacke auf die schöne Welt der Künste). Nun erscheint der Episoden-Dämon bei Sailor Moon stets im Gewand einer perversen Verzerrung des Umfeldes, in dem er angreift: In der Oper materialisiert sich beispielsweise ein Dämon mit tödlicher Stimme, gekleidet in ein bizarres Gewand aus Notenschlüsseln und verhöhnt / attackiert den Opernsänger, die Oper selbst. Der Themen-Ort wird zur Plattform des Themen-Dämons, der das Themen-Opfer anfällt. Wie gut, daß auch diesmal die Sailor-Freundinnen per Zufall zur rechten Zeit am rechten Ort sind.

In der nächsten Folge wird vielleicht ein Rennfahrer in seinem Rennstall von einem Werkstatt-Dämon heimgesucht, der aus Schraubenschlüsseln und Autoreifen besteht. Und natürlich wollten sich die Mädchen gerade einmal ein Autorennen ansehen oder einen befreundeten Mechaniker besuchen.

Der Themen-Ort wird jedenfalls stets zur Arena der Episode, zum Boxring, in dem Gut und Böse ihren Kampf austragen. Dieses Konzept verschmilzt Figuren und Orte zu einer festen Einheit, in deren Geschlossenheit der Reiz liegt.

Und dann gibt es als viertes noch die Über-Orte.

Das sind fremde Dimensionen / Zeiten / Verstecke des Bösen, von wo aus die Drahtzieher des Dunklen den gerade in der jeweiligen Folge agierenden Themen-Dämon lenken und wo die sardonischen Herrscher ihre niederen Pläne schmieden.

Diese Orte sind in unheimliches, unwirkliches Licht getaucht. Häufig erinnern diese Welten an schwarze Kathedralen, bizarre Tempel, in denen dem Falschen gehuldigt wird. In mittelalterlich anmutende Architekturen sind futuristische Maschinen integriert, pulsierende Nebel und klauenförmige Energiefelder werfen sonderbare Schatten in die Gesichter der Bösen. Alles dünstet Fäulnis und Abartigkeit aus.

(Auch hier wäre im Schriftlichen ein angemessener Erzählpart angesagt, der die Handlung zunächst ablöst und den Leser einstimmt.)

Dies sind die Orte, an denen am Ende jeder Staffel der Endkampf stattfindet, denn Sailor Moon und ihre Freunde kämpfen sich durch sämtliche Themen-Orte vor bis zum Herz des Bösen in seinem Unterschlupf. Hier werden nach circa 37 Episoden endlich die Ober-Gemeinen der Staffel gestellt. Erst wenn diese Katakomben - Brutzellen der Finsternis - geschleift sind, erst wenn die schwarzen Mauern fallen, wenn der Über-Ort der Staffel physisch zerstört ist, ist auch sein Meister, der böse König, gestorben und die Welt wieder sicher.

In der Serie Sailor Moon begleitet also ein streng diszipliniertes Orte-Konzept, ja eine Orte-Hierarchie, den Anstieg der Spannung pro Staffel, und symbolisiert die jeweilig erreichte Ebene des Kampfes zwischen Gut und Böse.

Interessant ist darüber hinaus, daß gegen Ende einer Staffel die Orte immer schneller gewechselt werden (Hektik pro Episode steigt). Die letzten drei, vier Folgen kommen ortstechnisch dann völlig zur Ruhe. Alles scheint zu erstarren. Nun konzentriert man sich nur noch auf den letzten Konflikt, auf die Figuren!

Showdown, Endkampf. Das Böse fällt. Geschafft! Folge 40!

Der allerletzte Ort einer Staffel, am Ende der Folge 40, ist ein heller, schöner, ein würdiger Ausklangs-Ort.

Vielleicht sitzen alle fröhlich beim Eis, vielleicht umarmt Mamoru seine Bunny in einem bonbonfarbenen Traumland ihrer Gefühle.

Dramaturgie

Um die perfekte Dramaturgie von Sailor Moon mitzubekommen, muß man eine Staffel von 40 Folgen (davon gibt es fünf) als Paket betrachten. Jede Staffel bildet einen eigenen Zyklus, eine Übergeschichte, die den Rahmen für all die Einzel-Episoden abgibt.

Das ist ein klassisches Konzept für Fortsetzungs-Serien in TV, Heften, Comics, Büchern, kurz: für große Geschichten, bei denen der Zuschauer / Leser lange am Ball bleiben und viele Wochen oder Seiten mitmachen soll. Der Zuschauer / Leser muß durch besonders intensive und gekonnnte Dramaturgie gebunden werden, sonst springt er ab. Damit alles perfekt zusammenpaßt, muß man dazu als erstes die Übergeschichte schreiben.

Wie geht alles los, was ist das Ziel (Finale), was passiert zwischendurch?

Um gleich bei Episode Eins einen knackigen Eindruck von der neu startenden Season abzugeben - schließlich will man noch 39 Folgen lang nachschieben dürfen - ist der Beginn immer spektakulär. Das ist nicht anders als bei einer Kurzgeschichte, einem Roman, denn die Season-Übergeschichte ist eigentlich nichts anderes als ein zerhackter Roman.

Häufig beziehen sich Teile (z. B. Visionen, Träume, zu dem Zeitpunkt noch verwirrende Dialoge etc.) auf das, was am Ende geschieht.

"Sailor-Moon, eines Tages wirst du den schwarzen Dom finden. Das wird der Tag sein, an dem du Mamoru für immer verlierst!" sagt der zwielichtige Prophet in Folge 1.

Sailor-Moon schreit auf und hat einen kurzen visionären Flash: Sie sieht stroboskophafte Szenenfetzen: Da ist sie selbst, Mamoru sterbend in ihren Armen. Im Hintergrund lacht ein fieser schwarzer Geist. Dann ist die Vision vorbei.

"Das wird nie geschehen! Dafür sorge ich!" schwört die Kriegerin. Was sie sah, sind verfremdete Ausschnitte aus Folge 40! Und es wird geschehen! Wahrscheinlich hat sie ähnliche Visionen im Laufe der Staffel so alle vier bis fünf Folgen mit wachsender Intensität: Das Unvermeidbare nähert sich wie ein böses Tier. Kann man das Schicksal brechen? Wir erfahren es in Folge 40. Natürlich sieht es in Folge 39 total düster aus ...

Damit man aber bereits am Anfang, und dann die ganze Zeit über immer wieder einmal auf das Ende anspielen kann, muß es bereits feststehen, bevor man Folge 1 überhaupt schreiben / drehen kann. Häufig werden also Anfang und Ende (Start und Ziel) gemeinsam definiert, und dann der Weg dazwischen auf 38 Episoden gespannt.

Dabei ist der Hängebrücken-Effekt zu beachten. Sind Anfang und Ende richtig festgeklopft? Vom Drama-Level her muß das Ende gehörig über dem Anfang liegen und dazwischen muß straff erzählt werden, damit der Mittelteil der Staffel nicht durchhängt. Am niedrigsten Punkt des Durchhängens riskiert man es sonst, auch noch die treuesten Zuschauer / Leser zu verlieren. Um das Hängen zu verhindern, sollte man deshalb kleine Etappen-Pfosten einziehen, die die Brücke zwischen den Ufern abstützen helfen. Das sind Meilensteine einer großen Übergeschichte.

Bei Sailor Moon liegt etwa alle vier bis fünf Folgen so ein Meilenstein.

Zwischen den Meilensteinen sind die Folgen fast identisch, beziehen sich stark aufeinander und bilden so eine Portion. Macht man die Portionen zu groß, liegen die Meilensteine also zu weit auseinander, dann beginnt das Ganze wieder zu hängen. Das passiert bei Bunny und ihren Freunden niemals!

Wie sieht das Konzept der Portionen, Meilensteine und der kompletten Brücke zwischen Anfang und Ziel nun hier aus?

Nehmen wir den (fiktiven) Beginn von eben: Sailor-Moons Geliebter wird in Zukunft sterben, sie will das verhindern. Die Aufgabe der Staffel ist damit klar. Was fehlt, ist noch der Feind, der das böse Schicksal herbeiführen soll. Er kommt in Folge 1 nur als Schatten vor, denn man soll noch nicht wissen, wer er ist.

Eine typische Staffel könnte nun beispielsweise so ablaufen:

Von Folge 2 bis einschließlich Folge 6 (Erste Portion) taucht der Böse ebenfalls immer nur als Schatten auf, der immer wieder einem zweiten Schemen Befehle erteilt ("Vernichte Mamoru. Dann ist auch Sailor Moon gebrochen!") Der Befehlsempfänger läßt daraufhin pro Episode einen von ihm geschaffenen Dämon auf die Welt los. Dieser reist vom Über-Ort zum Themen-Ort der jeweiligen Portions-Episode, greift an, wird vom Sailor-Team vernichtet bevor er Mamoru etwas antun kann und Sailor Moon fragt sich immer wieder: "Wer ist nur der Feind, der aus dem verborgenen zuschlägt? Wir müssen ihn finden!"

In Folge 7 bis einschließlich Nummer 11 hält sich Mamoru auf Anraten der Kriegerinnen im Keller ihrer Schule versteckt, während die Mädchen die Überreste der besiegten Dämonen aus Portion1 analysieren. Der Ober-Schatten rügt den Befehlsempfänger ("Deine Dämonen haben fünfmal versagt! Denk dir was neues aus! Ich will endlich Erfolge!") Daraufhin werden stärkere Dämonen als vorher zur Erde entsandt. Sie finden Mamoru fünfmal nicht, prügeln sich aber fünfmal mit den Kriegerinnen und werden fünfmal vernichtet. Bei extrem unterschiedlichen Themen-Orten kann man das ein paarmal fast identisch wiederholen, bevor es nervt. Dann muß der nächste Meilenstein erreicht sein. Sailor Moon sagt: "Verdammt, wir müssen endlich herausbekommen, wo die Biester herkommen. Über kurz oder lang finden sie Mamoru!" Wahrscheinlich hat sie dann eine Flash-Vision wie bei Episode 1!

Portion 3, Folge 12 bis einschließlich 17: Noch stärkere Dämonen finden sechsmal Mamoru, der nun von Themen-Ort zu Themen-Ort flieht. Die Kriegerinnen geben alles und siegen erneut. Die Analyse der Dämonenreste ergibt. daß sie nicht von dieser Welt sind. Außerdem hat Ami die letzten Dämonen bei ihrem Erscheinen mit einem Spezialgerät angepeilt und festgestellt, daß sie immer zuerst im Gebäude der Japanischen Nationalbank materialisieren, bevor sie zu ihnen kommen. Sailor Moon sagt: "Na also: Auf zur Nationalbank! Schnell!"

Portion 4, Folge 18 bis einschließlich 22. Der Oberste Schatten dreht durch und sagt: "Vasdall! Deine Dämonen sind Pflaumen! Du hast versagt. Stirb!" Kein Flehen hilft, der Befehlsempfänger wird vernichtet. Seinen Platz nimmt ´Sardonius´ ein, den man zum ersten Mal als Feind mit Gesicht sieht. "Wie willst du die Sache angehen?" fragt der Oberste Schatten aus dem Verborgenen heraus. Sardonius lächelt grausam und schickt diesmal fünf Super-Hexen zur Erde, die allesamt vom Sailor-Team direkt in der Nationalbank erwartet und bekämpft werden. Die Hexen schleudern die Guten in jeder Folge in eine andere Kampf-Dimension (surreale Themen-Orte), aber auch sie scheitern.

Portion Fünf: Folge 23 bis einschließlich 27: Sardonius kommt selbst zur Erde. Er wird fünfmal zurückgeschlagen, wobei jeweils ein Hilfsdämon stirbt, die nun nicht länger in der Nationallbank aus dem Dimensionslift steigen, sondern rein willkürlich über Tokio verteilt ankommen.

Portion Sechs: Folge 28 bis 33: Sardonius entführt Sailor-Venus und will sie gegen Mamoru austauschen. Sechs Versuchen sie zu befreien scheitern. Jedesmal stirbt ein Hilfs-Verteidigungsdämon in einem anderen Versteck des Bösen an ekligen Orten auf der Erde (inverse Themen-Orte). Plötzlich ist Mamoru fort!

Portion sieben (Vorletzte!): Folge 34 bis 37: Mamoru hat sich Sardonius gestellt um Sailor-Venus zu retten, die Sardonius aus Wut gerade hinrichten wollte. Mamoru wird zum Ober-Schatten an den Über-Ort gebracht. Sailor Moon ist außer sich vor Sorge um ihren Geliebten. Jetzt treten ihre Visions-Flashs aus Folge 1 verdichtet auf! Ami entdeckt ein Funksignal! Offenbar hat Mamoru eine Wanze am Körper, damit seine Freunde ihn und damit das Versteck des Bösen finden. Die Kriegerinnen vereinigen ihre Zauberkräfte und springen in die fremde Dimension, hin zum Über-Ort. Hier müssen sie drei miese Wach-Dämonen in Folge 35, 36 und 37 besiegen, die die linkesten der ganzen Staffel sind und die sie durch ein Dimensionslabyrinth mit dutzenden von Welten jagen.

Portion acht (Finale), Erster Part: Folge 38 und 39: Erschöpft dringen die vier Freundinnen zum Kern des Über-Ortes vor. Hier finden sie die gefesselte Sailor-Venus in der Hand von Sardonius. Sailor Moon ficht ein wahnwitziges Duell mit dem Bösewicht und versucht ihn vom Weg des Bösen abzubringen, indem sie an den Rest seines einst guten Herzen apelliert. Fast gelingt dies, aber der Hass ist stärker. Am Ende von Folge 38 stirbt Sardonius und Sailor-Venus wird befreit.

In Folge 39 finden sie den Thron-Saal des Bösen, die innerste Kammer des Über-Ortes. Hier erwartet sie der Oberste Schatten, den man nun zum ersten Mal sieht: Es ist ein alter Bekannter aus einer früheren Season. "Diabolonus, du lebst?" fragt die blonde Amazone entsetzt. "So ist es, mein Kind. Und nun will ich meine Rache! Sieh wie dein Geliebter stirb!" "Nein!" fleht Sailor Moon, "Wenn du Rache willst, dann töte mich!!" Aber der Böse schleudert dem gefesselt herbei gezauberten Mamoru einen Blitz zu. Der junge Mann bricht röchelnd zusammen, ein düsteres Energiefeld legt sich auf seine Brust. Sailor Moon rennt zu ihm, nimmt den Sterbenden in die Arme. Das Böse lacht dröhnend. Alle sind wie erstarrt: Das ist exakt die Flash-Szene aus Folge 1!

Sailor Moon schluchzt: "Er ist tot! Alles war umsonst!"

"Jaaaa, Sailor Moon! Und nun sterbt ihr alle!" (Ende Folge 39)

Letzte Folge der Season (Finale) Zweiter Part: Sailor Moons Freunde machen einen Ausfall und greifen gemeinsam Diabolonus an. Während der Kampf tobt, aktiviert Sailor Moon ihren Mondstein und versucht ihrem toten Geliebten Lebensenergie einzuhauchen. Vergebens. In tiefer Verzweiflung wendet sie sich an Daibolonus. Mit Hilfe der Energie ihres Mondsteins spürt sie das letzte Licht in der dunklen Seele auf und verstärkt dieses. Diabolonus wird schwächer und schwächer, bis schließlich der Hass aus seinem Leib hervorbricht wie ein schwarzes Gespenst und entfleucht.

Jetzt ist Daibolonus wieder der, der er einst war: ein verzweifelter Mann, der den frühen Tod seines einzigen Sohnes nicht hatte verwinden können. Als er den toten Mamoru sieht, erhebt sich das Feld der Todesenergie und Sailor Moons Geliebter schlägt wieder die Augen auf. Auch ihre Freundinnen erwachen unbeschadet. Als der Über-Ort zusammenzustürzen beginnt, springen alle mit vereinten Kräften durch das Dimensionstor zurück zur Erde und nehmen den einstigen Diabolonus mit. Sie materialisieren in der Nationalbank. Das Tor schließt sich hinter ihnen zum letzten Mal.

"Nun hat die Welt wieder Frieden!" sagt Sailor Moon.

"Und ich habe dich wieder!"

Sailor Moon und Mamoru küssen sich. Man geht hinaus. Es ist ein strahlend schöner Sommertag in Tokio.

"Ich fühle mich wie neu geboren!" ruft Ex-Diabolonus glücklich aus.

Ich gebe zu, daß sich diese Skelett äußerst trivial und billig anhört. Aber bei einem Skelett pfeift nunmal der Wind durch die Knochen. Damit Fleisch drauf kommt und das ganze mit Leben erfüllt zum Ganzen wird, muß man sich die Episoden einzeln ansehen. Innerhalb von 20 Minuten entwickelt jede Folge ein liebevolles, charmantes Panorama der Helden, und der teilweise martialische Teil, der in der Obergeschichte pausenlos Dampf macht, erscheint nur am Rande als Rahmen. Innerhalb des Rahmens ist genug Platz für drollige Szenen und Dialoge, warmherzige und rührende Momente, Szenen aus einem ganz normalen Schulalltag in Tokio, kleinen Sorgen (Bunnys Schwimmanzug ist verschwunden und sie macht alle verrückt mit ihrer Suche, Chibi-Usa ist krank, Ami hat zuviel gelernt und deshalb Kopfweh usw.)

So ergibt sich eine ausgewogene Mischung aus wildem Rahmen und Folgen-Idyll. Man sieht symphatische Menschen, wie du und ich, in ihrem Alltag mit nur zu bekannten Freuden und Sorgen. Wumms, da bricht von außen das Böse herein in Form eines Dämons. Das zerstörte Idyll soll wieder hergestellt werden. Es hilft nichts: Die harmlosen Schulmädchen müssen schweren Herzens Eisdiele und Rockkonzert verlassen und erstmal wieder für Ordnung sorgen. Es gibt einen furiosen fantasy-superheldischen Kampf und das Böse wird zurückgeschlagen. Alles ist (erstmal) wieder gut. Die Mädchen gehen wieder zur Schule oder backen Kuchen. Bunny flirtet mit ihrem Mamoru. Leider kommt das Unglück morgen zurück, und es wird von Portion zu Portion schlimmer und gegen Ende der Staffel gibt es immer weniger Idyll. Die Endfolgen sind nur noch schwarz! Doch dann der Durchbruch: Es ist letztlich alles wieder gut. Bis zur nächsten Staffel ... Irgendwie kommen die Armen nie zur Ruh´. Wohl erst in Folge 200, wenn der Roman der ganzen Geschichte nach fünf Staffeln erzählt ist.

Ein wesentlicher Punkt beim Zerhacken eines Romans in viele Erzählstücke ist, daß man es erreichen muß, daß der Zuschauer / Leser unbedingt die nächste Folge sehen / lesen will und auf die Fortsetzung nur so geiert!

Wenn die Übergeschichte der Staffel gut erzählt ist (Dramaturgie mit Portionen, Meilensteinen und Finale ist gut getaktet und variantenreich gesteigert), dann beginnt der Zauber des geschlossenen Zusammenhangs zu wirken. Man hat schon einige Folgen gesehen / gelesen und verfällt immer mehr schleichend dem Interesse an der Obergeschichte der Staffel. Die einzelne Episode tritt zurück, man jagt das fertige Bild des Puzzles. Mit diesem Konzept fahren außer ´Sailor Moon´ ja auch Perry Rhodan, Babylon 5, Akte X und all die Zyklen der Fantasy- und SF-Literatur gut.

Aber Anfangs, wenn man noch keine Chance hat ins Netz einer erahnbaren Obergeschichte zu geraten, anfangs muß jede Episode um die Rückkehr des geneigten Zuschauers / Lesers kämpfen: Jede Folge muß mit einem dramatischen Ende aufwarten, einem Cliffhanger, oder zumindest einer Vorahnung sich ankündigender aufregender Ereignisse. Gerade am Staffelbeginn haben deshalb am Ende der Folgen Sailor Moon und ihre Freunde oftmals böse Visionen, oder aber die letzte Szene spielt am Über-Ort des Bösen. Hier schwört z. B. der gerade gescheiterte Angreifer: "Na warte, nächstes Mal gehört der Sieg mir!" Besonders nett wirkt es, wenn wenige Sekunden / Zeilen vor Schluß dann ganz kurz angedeutet wird, wie der nächste Angriff aussehen wird. So kommt vielleicht noch ganz kurz ein monströser Drache ins Bild und der Ober-Böse lacht schallend. "Na, Hydrion? Hast du schon Appetit?" Das Vieh schnauft bejahend, seine Augen glühen tückisch-grausam auf. Ende und Fortsetzung.

Ab der Mitte einer Staffel werden die Cliffhanger meistens weniger drastisch gesetzt, dafür verläßt man sich nun auf die Magie der Oberstory. Am Ende werden die nun erreichten Meilensteine manchmal noch kommentiert ("Jetzt, wo wir Sailor-Venus befreien konnten, fehlt uns nur noch der Schlüssel zum Thronsaal des Bösen. Hoffentlich fällt Mamorus Sender nicht aus. Ami, was haben deine Analysen ergeben?" "Alles klar, Sailor Moon. Wie gut, dass Chibi-Usa uns ihre magische Spange mitgegeben hat." Alle nicken. Ende.

Symbolismus und Prämisse

Sailor Moon hat noch ein anderes, augenfälliges Merkmal: Die Serie strotzt nur so von Symbolismus und Allegorien. Das mag einem gefallen oder nicht, jedenfalls hat es eine besondere Wirkung, wenn all die abstrakten Teil-Aspekte der untergründigen Aussage von Sailor Moon, die durchaus philosophisch / religiöser Art ist, von starken Sinnbildern unterstützt werden. Aus der Art und Weise, wie die Serie mit Symbolen, Farben, Dialogen etc. umgeht, läßt es sich gut lernen, wie man die Grundaussage (Prämisse) einer Geschichte immer wieder unterstützten kann. Die Summe aller Andeutungen ergibt das, was oft zwischen den Zeilen und jenseits der Handlung wirkt. Dabei ist es egal, ob das visuell im TV passiert, oder mit Worten in einer geschriebenen Geschichte. Farben und Bilder sind in Worte übersetzbar und umgekehrt. Schließlich verfilmt man ja Drehbücher.

Um das Zusammenspiel von Symbolen und Allegorien einerseits und Grundaussage andererseits erkennen zu können stellt sich erstmal die Frage:

Was ist nun die untergründige Aussage dieser pastell-bunten Kinder-Serie, die merkwürdigerweise auch Erwachsenen gefallen kann, eben wegen dieses tieferen Sinnes?

Jede einzelne Episode präsentiert uns eine von normalem Alltag geprägte Welt (Hellblau, Zartrosa, Weiß sind die vorherrschenden Farben. Alles wirkt locker-flocker-leicht). Form-Symbole sind Sterne, Halbmonde, Katzen und vor allem Herzen. Herzen in allen Varianten. Hier werden durch Farben und Formen Gefühle so manipuliert, daß man unwillkürlich eine zarte Kinder-Idylle spürt.

Herzen stehen hier für unschuldige Liebe und ehrliche Freundschaft. All die Sterne und Monde erzeugen eine Assoziation von Verbundenheit mit einer Welt, die jenseits der Erde größer und wahrer ist, der Kosmos. Er verleiht den Kriegerinnen ihre Kraft und Individualität. Mit jedem Mädchen ist ein Planet verbunden, und so verschieden die Planeten auch sind, sie kreisen um dieselbe Sonne. Sie bilden am Himmel ein System, ein Team, dem horoskopische Magie innewohnt, fern des reinen Verstandes. So verdichtet die Serie metaphysische Aspekte zu einem Verbund. Und die Sailorkrieger kämpfen "Für Liebe und Gerechtigkeit!" Das ist ihr Kampfruf, und diese Aufgabe ist die Sonne, um die sie kreisen.

Mit Katzen verbindet man ja Schmusigkeit, aber auch Krallen. Könnten diese Tiere Andeutungen auf Sexualität sein, zumal die beiden Haupt-Katzen der Serie Männchen und Weibchen sind, eine weiß, die andere schwarz? Das erinnert mich an Ying und Yang, dem Symbol zur Vereinigung von Gegensätzen, Gegensätzen die - wie Mann und Frau - ein Ganzes ergeben.

So gedeutet, würde die Essenz des Ganzen sein: Wir alle sind Kinder des Kosmos und kämpfen für Liebe in all ihren Formen (körperlich und nicht-körperlich).

Und in der Tat wird in den Dialogen von Freundschaft und zarter Liebe geschwärmt, oder über deren Fehlen geklagt. Streit und Versöhnung, Ungerechtigkeit und Abhilfe, die Suche nach Harmonie, in der jeder Platz und Aufgabe hat, sind erste Muster, die sich einem immer wieder einprägen.

Selbst das Böse kann oft durch ein reines Herz geläutert werden.

Und gerade die Titelheldin Sailor Moon wird hier auf einer weiteren Ebene zum Dreh- und Angelpunkt der Serien-Aussage, des tieferen Themas: Sie umgibt sich mit Symbolen des Mondes (z. B. dem Mondstein, der ihr die Kraft der Mondnebel oder des Mondlichts verleiht).

Einmal assoziiert man mit Mondlicht nun weißes, reines Licht, das die Nacht erhellt (so wie unschuldige, ehrliche Liebe die Welt erhellt), zum anderen sind Mondnächte romantische Teile (Bilder von Liebenden im Mondlicht entstehen).

Auch hier wird also angespielt auf die beiden Ebenen der Liebe, körperlose Liebe zur Welt und - körperlich ergänzt - Liebe zu einem Partner.

Die Symbolik der Waffen, Namen, verwendeten Farben und Formen unterstützen die reine Handlung, bei der die Hauptfigur als Mädchen Bunny ihren Mamoru will (romantischer Teil), und als Kriegerin Sailor Moon die Welt verteidigt gegen Böses (philosophische Liebe).

So wie der Name doppeldeutig ist, so ist Bunny / Sailor Moon ein Doppel-Charakter, alle anderen sind es auch.

Und auf einer letzten Über-Ebene wird die Doppeldeutigkeit des Phänomens Liebe nochmals bestätigt: Zu Beginn der Serie ist Bunny ein reines Kind. Sie ist eine unschuldige Person, die die Welt liebt, noch ganz ohne geschlechtlichen Aspekt. Dann erfolgt die Erweckung von Dornröschen: Bunny erhält magische Kraft von einer Zauberkatze (!) und verwandelt sich fortan in Sailor Moon, die in ihrem kurzen Röckchen, langbeinig und schlank, schon recht sexy aussieht. Nun beginnt ihre Idylle zu zerbrechen, der Kampf mit Dämonen beginnt (Allegorie für das Erwachsenwerden, Kampf um Selbständigkeit, erwachende Sexualität böser Form). Parallel verliebt sie sich in Mamoru, der - ebenso wie Bunny - ein zweites Ich hat: Er ist Tuxedo Mask, ein Held in Smoking, aber maskiert.

Bunny und Mamoru ringen um ihre Liebe und Zukunft, Sailor Moon und Tuxedo Mask versuchen die Welt zu beschützen, damit auf beiden Ebenen eine Zukunft möglich bleibt.

Am Ende der Serie ist Bunny eine Frau geworden, Mamoru ein Mann. Sie vereinigen sich (Hochzeit). Sailor Moon und Tuxedo Mask konnten die Welt retten, Chibi-Usa kann geboren werden. Gleichzeitig verschmelzen beide Doppelcharaktere jeweils zu einem Neuen: Bunny / Sailor Moon wird zur Königin, Mamoru / Tuxedo Mask wird zum König von Zukunfts-Tokio.

Im Grunde handelt die Serie auf vielen Ebenen also von der Kraft der Liebe, die einen auf jede nur erdenkliche Art zur Entfaltung bringt und leben läßt, und für deren Erhalt jeder Einsatz lohnt.

Sicher, das erscheint jetzt alles sehr dick aufgetragen und die Symboldichte scheint in diesen Aufzählungen regelrecht holzhammerartig und aufdringlich. In den 200 Folgen der Serie aber mischt sich die Symbolik aber mit soviel Witzen, sinnfreien Dialogen und Action, daß sie verdünnt wird und, vermengt mit der martialischen Übergeschichte der Dämonenkämpfe, ein gute Balance zweier Extreme ausmacht.

Die Gewalt-Thematik wird von der Liebes-Thematik ausgeglichen.

Fazit

Sailor Moon erzählt eine sauber durchstrukturierte Geschichte, die optimal auf fünf mal vierzig Folgen aufgeteilt ist.

Die einzelnen Episoden erzählen vom Idyll, das verloren und wiedergefunden wird (Restauration des Guten). So schafft jede Folge für sich abenteuerliche Befriedigung. Über eine Staffel hinweg beginnt der Charakter der Einzel-Folgen aber im Rahmen der Obergeschichte der Staffel zu driften: Die Angriffe auf das Idyll werden immer drastischer, emotionale Verwicklungen nehmen zu, es scheint sich langsam ein unsichtbarer Strick um die Hälse aller Beteiligten zu legen und sich zuzuziehen. Die Folgen werden düsterer und hektischer, am Ende kommt es ganz dick: Die letzten Folgen haben kein Happy-End mehr. Das gibt es erst wieder am Staffel-Ende.

Erst als der Ursprung des Bösen beseitigt ist, ersteht das Idyll wieder.

Aber auf der dritten Ebene wirkt das Staffel-Konzept: Alle Staffeln zusammen ergeben eine Ober-Ober-Geschichte. Das gerettete Idyll am Ende jeder einzelnen Staffel sieht anders aus, als das der Staffel davor: Alle Helden sind reifer, tapferer und auch stärker geworden, bis sie erwachsen sind.

Zum Schluß ist das gesamte Erzählgebäude entstanden. Mit all seinen Stockwerken und Ebenen trägt es die Stimmung der Serie ebenso, wie ihre Aussage. Und bei seinem Bau hat man viele interessante Stunden erlebt. Was will man mehr?

Mir scheint, das Gefundene ist die Architektur des Erfolgs. Man findet sie so oder ähnlich bei fast allen ´großen´ Serien.

Nun gilt es also, diese Techniken nach persönlichem Geschmack auf eigene Geschichten zu übertragen:

 

"MONDSTEIN, FLIEG UND SIEG!"
 
 
Stand: 2002-09-22

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