The Tempest

Ausgabe 22-06 (20. Juni 2020)

   Editorial
   Hall of Fame
   Neues aus der Buchszene
   Schreib-Kick
      „Kindersendungen für die Monstergestaltung nutzen“ 
      von Nora-Marie Borrusch
   Der Lektor, das unbekannte Wesen
      „Es geht um Analyse, den Blick von außen und ums Motivieren-Können“ 
      Interview mit Andrea Weil
   Impressum

EDITORIAL 

Liebe Autorinnen und Autoren,

Monsterentwicklung, das scheint ein Steckenpferd von Nora-Marie Borrusch zu sein. Gut für uns, dass sie uns ihre Tipps dazu verrät - diesmal geht es um ... Kindersendungen!

Sehr offen gibt die Lektorin Andrea Weil in dem Interview, das Hans Peter Roentgen mit ihr geführt hat, Auskunft über ihre Arbeit, Arbeitsaufwand, Preise und vieles mehr.

Ramona Roth-Berghofer bringt uns wie immer auf den aktuellen Stand in der Buchszene, wie sie sich im Netz präsentiert. Und im zweiten Teil des Tempest findet ihr neue Ausschreibungen. Wie immer in diesen Zeiten gilt: Bitte fragt bei allen Seminaren etc. noch einmal selbst nach, ob sie stattfinden!

Der klassische Tipp des Monats, diesmal von Saul Bellow:

Bei einem Schriftsteller muss man, wie bei einem Chirurgen, das Gefühl haben, in guten Händen zu sein, damit man sich im Vertrauen betäuben lassen kann.

Wer kann, darf uns gern einen freiwilligen Beitrag überweisen, am besten über unsere Website. Und schickt mir bitte Schreibtipps und vor allem Artikelvorschläge! Wie wäre es zum Beispiel mit Tipps zum Autorenleben in Corona-Zeiten? Wie geht ihr damit um, habt ihr neue Ideen umsetzen, andere Einkommensquellen erschließen können? Ganz kurz als Leserbrief oder länger - wir freuen uns auf eure Beiträge!

Lasst es euch gutgehen.

  Gabi Neumayer
  Chefredakteurin

~~~~~~~~~~~

Damit wir den Tempest auch in Zukunft weiterführen können, brauchen wir eure Hilfe: Wer uns unterstützen möchte, überweise bitte einen freiwilligen Jahresbeitrag (15 Euro haben wir als Richtwert gesetzt, aber ihr helft uns auch schon mit 5 oder 10 Euro weiter) auf das Konto:

     Jürgen Schloßmacher
     Kreissparkasse Köln
     BIC: COKSDE33XXX 
     IBAN: DE23 3705 0299 1142 1761 63
     Stichwort: „Beitrag Tempest“

Ihr könnt auch über unsere Website direkt per Paypal überweisen!

Und wer nicht überweisen möchte, kann uns den Beitrag auch weiterhin per Post schicken (Adresse am Ende des Tempest). 


ISSN 1439-4669 Copyright 2019 autorenforum.de. Copyright- und Kontaktinformationen am Ende dieser Ausgabe


INHALT DIESER AUSGABE

TEIL 1

   Editorial
   Hall of Fame
   Neues aus der Buchszene
   Schreib-Kick
      „Kindersendungen für die Monstergestaltung nutzen“ 
      von Nora-Marie Borrusch
   Der Lektor, das unbekannte Wesen
      „Es geht um Analyse, den Blick von außen und ums Motivieren-Können“ 
      Interview mit Andrea Weil
   Impressum


TEIL 2 (in separater E-Mail, falls ebenfalls abonniert)

   Veranstaltungen
   Ausschreibungen
   Publikationsmöglichkeiten
     mit Honorar
     ohne Honorar
   Seminare
   Messekalender


HALL OF FAME (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.


Die „Hall of Fame“ zeigt die Erfolge von AbonnentInnen des Tempest. Wir freuen uns, wenn ihr euch davon motivieren und ermutigen lasst - dann werden wir euer neues Buch hier bestimmt auch bald vorstellen können.

Melden könnt ihr aktuelle Buchveröffentlichungen (nur Erstauflagen!) nach diesem Schema:

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AutorIn: „Titel“, Verlag Erscheinungsjahr (das muss immer das laufende oder das vergangene Jahr sein!), Genre (maximal 2 Wörter). Zusätzlich könnt ihr in maximal 60 Zeichen (nicht Wörtern!) inklusive Leerzeichen weitere Infos zu eurem Buch unterbringen, zum Beispiel eine Homepage-Adresse.

.......

Ein Beispiel (!):

Johanna Ernst: „Der Fall der falschen Meldung“, Hüstel Verlag 2015, Mystery-Thriller. Dann noch 60 Zeichen - und keins mehr! Inklusive Homepage!

.......

Ausgeschlossen sind Veröffentlichungen in Anthologien, Bücher im Eigenverlag und BoDs (sofern sie im Eigenverlag erschienen sind) sowie Veröffentlichungen in Druckkostenzuschussverlagen. 

ACHTUNG!

Schreibt in eure Mail mit der Meldung immer auch hinein, dass ihr bestätigt, dass die Veröffentlichung weder im Eigenverlag noch in einem Verlag erschienen ist, bei dem der Autor irgendetwas bezahlt hat! Als Bezahlung gilt auch, wenn er Bücher kostenpflichtig abnehmen muss, Lektorat bezahlt o. Ä.

Schickt eure Texte unter dem Betreff „Hall of Fame“ an dDiese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Wir berücksichtigen ausschließlich Meldungen, die nach dem obigen Schema gemacht werden und die Bestätigung zum Verlag enthalten. Änderungsaufforderungen zu Meldungen, bei denen das nicht der Fall ist, werden ab sofort nicht mehr verschickt! 


Rainer Güllich: „Verletzte Gefühle – Ein Marburg-Krimi“, Karina Verlag 2020, Kriminalroman. www.rainer-güllich.de

Christiane Höhmann: „Letztes Licht“, kalliope paperbacks 2020, Roman. www.christiane-hoehmann.de


NEUES AUS DER BUCHSZENE (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)


Wir leben in turbulenten Zeiten, die Buchbranche ist in Bewegung wie nie zuvor. Ob es nun um neue Vertragsbedingungen mit Amazon geht, die zunehmende Digitalisierung des Marktes oder all die neuen Chancen und Möglichkeiten, die sich Verlagsautoren und professionellen Selfpublishern bieten: Eine Nachricht jagt die nächste. Damit ihr den Überblick behaltet und nichts Wichtiges verpasst, fassen wir hier alle interessanten Links zusammen, die uns jeden Monat ins Auge fallen - natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.


Buchhandel / Zwischenhandel


Paketdienste: Wie am Fließband.

Orell Füssli eröffnet in Regensdorf.

Callcenter für den Buchhandel. Jeder Anruf zählt.

Branchen-Monitor Buch im Mai.


Verlage / Konzerne


Nicht mal ein Like: Bookstagramer*innen werden von Belletristikverlagen kaum beachtet.

Verlage kalkulieren ihre Auflagen vorsichtiger.

Barbara Laugwitz wird neue Verlegerin des dtv.


Preise / Auszeichnungen


Die Macht der Hintergründe – der Bachmannpreis-Podcast zur Eröffnung.

Jasmin Ramadan eröffnet Ingeborg-Bachmann-Preis.

Deutscher Buchhandlungspreis 2020: Bewerbungsfrist endet am 6. Juli.

Der indische Ökonom und Philosoph Amartya Sen wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt.

Die Preisträger des zweiten Deutschen Verlagspreises wurden bekanntgegeben.

So wird der „Bachmannpreis spezial“ – und diese Autorinnen und Autoren werden lesen.


Kultur / Literaturszene / Politik


Ahmed Mansoor wird PEN-Ehrenmitglied.

David Bowies Bibliothek.

Das Literarische Quartett im Juni 2020: Eine beseelte Sache?

Der Übersetzerin und Autorin Annette Herzog wurde die dänische Staatsbürgerschaft verweigert.

Wir hätten da eine Bitte, Frau Rowling.


Veranstaltungen / Messen


Europäische Verlage wollen nach Frankfurt kommen: „Die Buchmesse ist ein unverzichtbarer Treffpunkt.“

Corona-Krise: Buchtage als interaktive Online-Reihe.

Frankfurter Buchmesse 2020 soll stattfinden - physisch und virtuell.


International


Illustratoren unterstützen US-Buchhandel.


SCHREIB-KICK (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)


„Kindersendungen für die Monstergestaltung nutzen“

von Nora-Marie Borrusch 

In Sendungen für Kinder, beispielsweise der „Sendung mit der Maus“ (gibt’s auch oft auf Youtube), werden die unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen Phänomene für Kinder, also auch für naturwissenschaftliche Laien erklärt. Sie sind aufs Wesentliche reduziert und eignen sich daher besonders gut für AutorInnen, um sie als Basis zum Beispiel für die Monstergestaltung zu nutzen.

Wisst ihr zum Beispiel, wie es sich mit dem Geweih von Hirschen verhält? Das fällt jedes Jahr ab! Im Frühjahr wächst es neu, 2 bis 3 cm pro Tag, und es sieht zuerst aus wie ein Plüschgeweih von einem Kuscheltier. Bis zur Brunftzeit im Herbst ist es wieder 1,5 m hoch und 10 kg schwer.

Oder Hydren. Das sind nicht nur mythologische Wesen, sondern auch Süßwasserpolypen, die zu den Nesseltieren gehören (wie Quallen). Sie sind quasi unsterblich, obwohl man ihnen den „Kopf“ abschneiden kann.

Was das für Möglichkeiten für die realistische Monsterkonzeption bietet!

                  **~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~**

Nora-Marie Borrusch, Lektorat Agapenna, www.lektorat-agapenna.com, seit 2020 Mitglied im VfLL

 


  DER LEKTOR, DAS UNBEKANNTE WESEN (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)


„Es geht um Analyse, den Blick von außen und ums Motivieren-Können“

Interview mit Andrea Weil

Andrea Weil ist Diplomjournalistin, Romanautorin und lektoriert Texte von Autorinnen und Autoren.

 

Hans Peter Roentgen: Welche Texte lektorierst du? Und was machst du in so einem Lektorat?

Andrea Weil: Meine Kund*innen kommen mit den unterschiedlichsten Projekten zu mir, von Romanze über High Fantasy und Science Fiction, Thriller, Drama und Regionalkrimi bis hin zu Graphic Novels, Autobiographien, Essays zur deutschen Geschichte, populärwissenschaftlichen Sachbücher über Wölfe und Ratgebern zur Hühnerzucht.

Einmal habe ich Vereinsvertretern wohl eine Klagewelle erspart, weil ihr Manuskript über ihren Kampf um die Wiederbelebung einer historisch wertvollen Eisenbahntrasse zu einem guten Teil aus Zitaten aus Korrespondenzen mit Politikern und Firmen bestand. Zwar bin ich keine Medienrechtsanwältin, aber im Journalistik-Studium haben wir uns ausführlich mit dem Urheber-, Zitat- und dem Recht am eigenen Wort auseinandergesetzt. Mein Service beginnt also bereits bei der ersten Beurteilung des Manuskripts und eventueller Fallstricke, die bei der Veröffentlichung auftauchen können.

Im Lektorat decke ich ausgelutschte oder gar schädliche Klischees auf, berücksichtige den Spannungsbogen, die Charaktere und ihre Entwicklung, allgemeine Logik, Weltenbau, ob die Sprache der Zielgruppe und dem Charakter angemessen ist, ob eine Szene ihre volle und vor allem beabsichtigte Wirkung entfaltet, schaue nach Kürzungspotential, streiche Füllwörter und Wortdopplungen. Ich achte auch auf Rechtschreibung und Grammatik, aber das ist nicht mein Hauptfokus, dafür gibt es Korrektor*innen.

 

HPR: Welche Eigenschaften sind deiner Meinung besonders wichtig, um Texte zu lektorieren?

AW: Einfühlungsvermögen. Schreiben ist meist etwas sehr Persönliches, die Leute geben viel Herzblut hinein. Ich versuche, in meiner Kritik ebenso behutsam, wertschätzend und konstruktiv zu sein wie gnadenlos. Als Lektorin bin ich nicht die Feindin der Autor*in, sondern wie ein Coach: Es geht darum, das volle Potential des Textes herauszuarbeiten, die beste Version in der individuellen Erzählstimme der Autor*in. Wer anderen seinen eigenen Stil aufdrücken will, ist in dem Beruf fehl am Platze. Obwohl es natürlich Regeln und Schreibtipps gibt, wie man welche Wirkung erzielen kann. Wenn meine Protagonistin gerade am Boden liegt und ein Messer am Hals hat, ist keine Zeit für ellenlange Schachtelsätze mit philosophischen Betrachtungen, die jegliche Spannung zerstören. Das muss ich dann meine*r Kund*in einleuchtend vermitteln, Überzeugungsarbeit leisten. Ein paar pädagogische Fähigkeiten zu haben schadet also auch nicht.

 

HPR: Wie sieht der typische Ablauf deines Lektorats aus? Mal angenommen, ich schicke dir einen Text, welche Schritte passieren dann, bis das Lektorat beendet ist?

AW: Zunächst werde ich mir den Text ansehen, bewerten, was daran zu tun ist, und das mit dir absprechen. Denn es spielt ja auch eine Rolle, was du mit dem Manuskript vorhast: ins Selfpublishing gehen oder erst mal „nur“ einen Verlag überzeugen, der ja noch seine eigenen Lektor*innen darauf loslassen wird.

Je nach Budget und Qualität des Textes gibt es verschiedene Vorgehensweisen. Die größte Entscheidung liegt darin, ob wir ein oder zwei Durchgänge machen. Ein „All in one“-Lektorat berücksichtigt sowohl inhaltliche als auch stilistische Kriterien und ist insgesamt günstiger. Allerdings hat er den Nachteil, dass es nach der Überarbeitung am Ende keine „Erfolgskontrolle“ gibt. Zwei Durchgänge sind meist angemessener. Im inhaltlichen schreibe ich im (digitalen) Dokument sehr viele Kommentare an die Seite, stelle Fragen, ob das so beabsichtigt war, gebe Ratschläge, was besser passen könnte, und kürze auch schon mal. Dann überarbeitest du das Ganze nach meinen Ratschlägen, und im zweiten Durchgang schaue ich mir an, ob die Stellen, die beim Lesen Probleme bereitet haben, verschwunden sind, und nehme ich mir ansonsten vor allem Stil und Sprache vor, bin also mehr im Text selbst unterwegs mit der Änderungen-nachverfolgen-Funktion.

Ich bin allerdings kein Ghostwriter, ich schreibe nicht großflächig um, sondern weise darauf hin, wo es z. B. Wortdopplungen gibt oder ein Begriff missverständlich ist oder der Anschluss nicht passt. Ich mache Vorschläge, aber überarbeiten muss die Autor*in selbst. Am liebsten bearbeite ich die kompletten Manuskripte, aber wenn die Zeit drängt, schicke ich wochenweise „Häppchen“ zurück, damit die Kund*in schon mal mit dem Überarbeiten anfangen kann. Wenn am Ende noch Fragen offen bleiben, klären wir die am Telefon oder per Mail.

 

HPR: Bietest du unterschiedliche Lektoratsformen an (Exposé, Klappentext, Manuskriptgutachten), oder sind es immer vollständige Texte?

AW: Ja, ich helfe beim Verfassen von Klappentexten und Exposés, aber auch hier gilt: Schreiben muss erst mal die Autor*in selbst. Wer merkt, dass es ihm schwer fällt, eine Inhaltsangabe zu verfassen, hat oft auch im Manuskript Probleme mit dem roten Faden. Manuskriptbeurteilungen mache ich ebenfalls mit Checklisten zum eigenständigen Überarbeiten, das ist beispielsweise sinnvoll für Leute, die Verlag oder Agentur suchen und noch kein komplett lektoriertes Manuskript brauchen. Ich habe auch schon Autor*innen beim Schreiben selbst begleitet, über Jahre hinweg immer abschnittsweise den Fortschritt besprochen, bis das Manuskript schließlich fertig war. Wer also einfach eine Idee hat, aber keine Ahnung, wie anfangen, kann genauso zu mir kommen.

 

HPR: Was ist deiner Meinung nach die wichtigste Aufgabe eines Lektorats?

AW: Es geht darum, dem oder der Autor*in zu helfen, ihre bestmöglichste Geschichte zu erschaffen. Dabei habe ich immer die Leserschaft im Hinterkopf, die Zielgruppe, die es verstehen muss und auf die es wirken soll, sie zum Lachen oder Weinen bringen, ihr Spaß machen und sie berühren – oder die einfach nur klar wissen will, was passiert, wenn man dieses Huhn mit jenem kreuzt.

 

HPR: Kannst du uns drei typische Beispiele nennen, die du immer wieder überarbeiten musst?

AW: Autor*innen sind so vielfältig wie ihre Texte, aber Anfänger*innen verfallen gerne in Infodump, gerade bei Fantasy: Hier, Leser*in, ich erkläre mal meine komplette Welt auf der ersten Seite – und bin dabei so interessant wie ein Schullexikon. Allgemein gibt es am Anfang viel zu bearbeiten – nicht den ersten Satz, sondern die ganze erste Szene –, weil er so viel auf einmal leisten muss: Charaktere etablieren, einen Konflikt, die Leserschaft packen und rätseln lassen und gleichzeitig nicht verwirren. Und das, wo die Autor*in selbst noch nicht so ganz vertraut ist mit ihrer oder seiner Geschichte! Die Frage, wie viele Informationen an welcher Stelle geschickt in die Handlung verwoben werden sollen, beschäftigt meine Kund*innen und mich sehr oft.

Zweites Thema ist häufig die Perspektive, denn wenn man zu viel zwischen verschiedenen Köpfen hin und her springt, ist das extrem verwirrend, und vor allem finden die Leser*innen niemanden zum Identifizieren. Damit geht auch Schwachstelle Nummer 3 einher, der Szenenaufbau: Wie erschaffe ich von Anfang an ein klares Bild im Kopf der Leser*innen, kurbele das Kopfkino an, damit die Figuren nicht im luftleeren Raum agieren und aus dem Nichts Türen auftauchen? (Das darf nur mit magischen in einer Fantasygeschichte passieren.)

 

HPR: Bietest du auch Coaching an?

AW: Sehr gerne sogar. Wenn jemand gar nicht weiß, wie er anfangen soll, oder wenn ein Manuskript nicht auf einem handwerklichen Niveau ist, dass sich ein Lektorat lohnt, dann biete ich Coachings an, per Telefon oder Skype, um ein paar Grundlagen des Schreibens zu vermitteln oder auch zu brainstormen, wie sich die Geschichte weiterentwickeln kann.

 

HPR: Übernehmen deine Kunden alle deine Änderungen? Erwartest du, dass alles übernommen wird?

AW: Das Manuskript ist und bleibt das Werk seine*r Autor*in, der oder die entscheidet, was übernommen wird. In der Regel nehmen sie die Änderungen an, weil ich sie davon überzeugen konnte. Sehr häufig ist es aber auch so, dass ich einen Vorschlag mache und bei der Kund*in eine Assoziationskette in Gang setze, die in eine viel brillantere Lösung mündet.

 

HPR: Kannst du einen Durchschnittswert sagen, wie viel Prozent deiner Änderungen übernommen werden?

AW: Nein, das hab ich noch nie ausgerechnet.

 

HPR: Was geschieht, wenn der Kunde sagt: „Nein, so wie du das geändert hast, will ich das nicht haben.“?

AW: Hindern kann und will ich ihn nicht. Wenn es letztlich auf ein Geschmacksurteil hinausläuft, muss ich wirklich nicht streiten, vor allem bei Formulierungen. Ansonsten schmeißt der Kunde schlicht Geld zum Fenster raus, wenn er mich für mein Urteil bezahlt und es dann ignoriert. Das passiert jedoch so gut wie nie, deshalb haben wir ja vorab im persönlichen Gespräch abgestimmt, was wir wollen und erwarten und ob wir auf einer Wellenlänge liegen.

In seltenen Fällen geht es um grundsätzliche Dinge, die ich nicht ignorieren kann, weil sie meinen guten Ruf als Lektorin gefährden könnten. Beispielsweise wenn in einem Impressum steht, ich habe es lektoriert, es aber vor Fehlern strotzt. Oder wenn in einer Romanze toxische Beziehungsstrukturen als selbstverständlich oder gar positiv verklärt werden – da muss ich sagen, es gibt Dinge, dafür gebe ich meinen Namen nicht her.

 

HPR: Gab es auch schon mal Fälle, in denen du und der Kunde euch nicht einigen konntet? Was passiert dann?

AW: Es ist noch nie bis zum Äußersten eskaliert. Aber ich habe schon drei-, viermal gesagt: Wenn Sie darauf bestehen, das so zu schreiben, nach allem, was ich als problematisch ausgeführt habe – dann verbiete ich, dass mein Name in irgendeinem Zusammenhang mit diesem Buch erwähnt wird. Das spätestens bringt die meisten Leute richtig zum Nachdenken, weil sie merken, dass es mir um ein wichtiges moralisches Grundprinzip geht.

 

HPR: Müssen die Texte ein bestimmtes Niveau haben, damit du sie lektorierst? Oder lektorierst du alles?

AW: Nein, ich lektoriere definitiv nicht alles. Ich kann sehr schnell einschätzen, wann ein Text selbst nach einem Lektorat noch nicht annähernd veröffentlichungsreif wäre. Was nutzt es der Kund*in, wenn das Dokument mit Tausenden Kommentaren übersät ist, die er oder sie gar nicht allein bewältigen kann? In solchen Fällen versuche ich, die Leute so wertschätzend wie möglich von ihrem hohen Ross – „juchu, ich hab ein Buch geschrieben und meine ganze Familie findet es super“ – runterzuholen und in Richtung Coaching zu stupsen. Oder, wie im vorhin genannten Fall, auf grundlegende rechtliche Probleme hinzuweisen, die eine Veröffentlichung ohnehin unmöglich machen würden, und zwar bevor sie Hunderte Euro fürs Lektorat ausgegeben haben. Auf diese Art habe ich bereits Aufträge verloren, aber auch langfristige Kund*innen gewonnen, die ich dauerhaft begleiten darf, bis der große Traum eines eigenen Buches am Ende doch erfüllt ist.

 

HPR: Kommen wir zum heikelsten Thema, den Preisen. Hast du feste Preise für bestimmte Leistungen, zum Beispiel pro Normseite? Oder wonach berechnest du den Preis deiner Leistungen?

AW: Wenn ich im Rahmen des Textehexe-Teams arbeite – einer lockeren Kooperation von Kolleginnen, die alle in etwa gleich ticken und sich gegenseitig aushelfen, um die Leute schneller bedienen zu können –, geben wir Seitenpreise zur Orientierung an. Das sind bei einem durchschnittlichen Roman 6 Euro pro Normseite á 1.500 Anschläge. Ein Coaching kostet 99 Euro, alles inklusive Umsatzsteuer. Es ist schlicht übersichtlicher und leichter, wenn man sich Aufträge hin und her schiebt, und wenn es mal etwas mehr oder weniger Aufwand ist, gleicht es sich am Ende aus.

Wenn ich selbst für mich Kunden akquiriere, arbeite ich mit einem Stundenlohn von 55 Euro netto, plus 19 Prozent Umsatzsteuer, also 65,45 Euro, wobei man sich die Differenz vom Finanzamt wiederholen kann. Ich schätze im Vorfeld ab, wie die Qualität des Textes ist und wie groß der Arbeitsaufwand, und erstelle einen verbindlichen Kostenvoranschlag. Bislang ist es in sechs Jahren nur zweimal vorgekommen, dass ich nachhonorieren musste, weil sich im Manuskript doch noch ein paar zeitaufwändige Klöpse versteckt hatten. Aber das kommuniziere ich sofort, und wir konnten uns problemlos einigen. Wenn ich am Ende nachrechne, komme ich meist auf einen Betrag, der sich mit dem auf Textehexen-Rechengrundlage wenig gibt.

 

HPR: In welchem Bereich bewegt sich der durchschnittliche Aufwand für ein Manuskript eines Taschenbuchs mit 300 Seiten? Gibt es da Grenzen, maximal, minimal?

AW: Die Arbeitszeit? Da gibt es ja einen Unterschied, ob wir vom inhaltlichen Durchgang oder dem stilistischen reden. Der zweite braucht meist etwas länger, weil ich mehr ins Detail gehen muss. Bei einem durchschnittlichen Manuskript schaffe ich 12 Seiten in der Stunde im inhaltlichen, im stilistischen 10. Also bin ich bei zwei Durchgängen von 300 Seiten 55 Stunden beschäftigt, da kommen wir brutto auf 3599,75 Euro. Einen All-in-one könnte ich wohl in 37,5 Stunden schaffen und würde 2454,38 Euro berechnen. Weil ich aber am Tag nicht acht Stunden stracks durchlektorieren kann –, erstens wegen der Konzentration und zweitens wegen Coachings, Exposéberatung und sonstiger Büroarbeiten –, verplane ich bei 300 Seiten großzügig pro Durchgang drei Wochen. Wenn ich dann schneller bin, freuen sich die Leute. Und wenn besondere Umstände Zeitdruck machen, kann man darüber reden.

 

HPR: Muss deiner Meinung nach ein Lektor selbst erfolgreich Bücher veröffentlicht haben?

AW: Nein. Ein Fußballtrainer muss ja auch nicht besser stürmen können als der Profifußballer. Es geht um Analyse, den Blick von außen und ums Motivieren-Können. Bei meinen eigenen Texten bin ich als Lektorin genauso betriebsblind wie jede*r andere und baue Mist, den mir das Lektorat korrigieren muss.

 

HPR: Wie bist du eigentlich Lektorin geworden? Wie sah dein Berufsweg aus?

AW: Geschichten geschrieben habe ich, seit ich das Alphabet gelernt hatte. Mit zwölf verfasste ich für eine Jugend- und Umweltzeitschrift Artikel und wollte Journalistin werden. Deshalb studierte ich in Eichstätt Diplom-Journalistik mit Nebenfach Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, machte begleitend Praktika bei einem Reisemagazin, der Online-Redaktion der Zeit, einem deutschsprachigen Monatsblatt in Kanada und verschiedenen Tageszeitungen und schrieb stetig für die Fachzeitschrift Wolf Magazin. 2010 absolvierte ich ein Volontariat bei der Märkischen Oderzeitung und nahm eine Stelle als Lokalredakteurin an.

Immer wieder habe ich in all dieser Zeit die Texte von anderen Autor*innen und Journalist*innen korrigiert und besprochen. Als Redakteurin betreute ich die Jugendredaktion, was einiges an Fingerspitzengefühl verlangte, um die Mitarbeiter*innen zu motivieren. Für befreundete Autor*innen lektorierte ich Manuskripte, noch bevor ich genau drüber nachdachte, was ich da tat. Ich wurde in Naturalien bezahlt wie einem tollen Abendessen oder einer Wolfsjacke, mitgebracht aus dem Yellowstone.

2014 habe ich mich dann selbständig gemacht, weil mir die Mühle der Tageszeitung zu stressig war und ich mich gern langfristiger und intensiver mit Themen und Texten beschäftigen wollte. Die „Textehexe“ Susanne Pavlovic hat mit Tipps gegeben und mir den Start in der Branche sehr erleichtert. Zwei Jahre später erkannte mich dann der VfLL als Mitglied an, seither tausche ich mich dort aus und nutze das Fortbildungsangebot, wenn es zeitlich geht.

 

HPR: Du hast selbst Romane geschrieben. Sollte deiner Meinung nach eine Lektorin selbst Bücher schreiben, oder ist das nicht notwendig?

AW: Ich denke, es ist insofern hilfreich, als dass sich die Lektorin dann besser in die Gefühle und Nöte der Autor*in hineinversetzen kann. Eine Voraussetzung ist es nicht zwingend, dann schon eher, viel zu lesen und sich mit Sprache auseinanderzusetzen. Aber es dürfte keine Überraschung sein, dass ich eigentlich niemanden kenne, der Lektor*in ist und nicht schon mal was geschrieben hat, wenn auch nicht zwingend veröffentlicht.

 

HPR: Gibt es einen mittlerweile veröffentlichten Text aus deinen Lektoraten, den du uns besonders empfehlen würdest?

AW: Oh, es ist echt schwer, da jetzt Leute rauszupicken, ohne andere zu vernachlässigen. Da können Interessierte einfach mal die Rubrik „Kundenstimmen“ auf meiner Homepage durchforsten und den ein oder anderen bekannten Namen finden. Das heißt ... sehr geehrt bin ich, dass Elli H. Radinger, Chefredakteurin des Wolf Magazins, mir die Rohfassungen ihrer Wolfsbücher vorab gibt, denn sie ist mein großes Vorbild und hat mir so viel beigebracht, seit ich 14 war. Und nicht zuletzt den Mut gegeben, die Selbständigkeit zu wagen, was mich jeden Tag glücklich macht.

 

HPR: Herzlichen Dank für das Interview.

                  **~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~**

Hans Peter Roentgen ist Autor der Bücher „Vier Seiten für ein Halleluja“ über Romananfänge, „Drei Seiten für ein Exposé“, „Schreiben ist nichts für Feiglinge“, „Klappentext, Pitch und weiteres Getier“ und „Was dem Lektorat auffällt“. Außerdem hält er Schreibkurse und lektoriert.


UNSERE EXPERTINNEN UND EXPERTEN


Bitte schickt den ExpertInnen nur Fragen zu ihrem Expertenthema - keine Manuskripte zur Beurteilung. Bitte verseht jede Anfrage mit einem aussagekräftigen Betreff. Sonst kann es sein, dass die Mail vorsichtshalber gelöscht wird.
 

Drehbuch  Oliver Pautsch Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Fantasy Stefanie Bense Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Heftroman  Arndt Ellmer Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Historischer Roman  Titus Müller Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Kinder- und Jugendbuch Sylvia Englert Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Kriminalistik Kajo Lang Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Lyrik Martina Weber Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Marketing Maike Frie Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Recherche  Barbara Ellermeier Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Plotten Kathrin Lange Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Sachbuch Gabi Neumayer Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Schreibaus- und -fortbildung  Uli Rothfuss Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Schreibhandwerk Ute Hacker Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Science-Fiction Andreas Eschbach Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.


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Ausgabe 26-04 (vom 20. April 2024)

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     „Lektorat: KI und Goethe“
     von Hans Peter Roentgen
   Buchbesprechung
     „Kreativität“ von Melanie Raabe
     besprochen von Meike Blatzheim
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